Ein Mann mit Sonnenbrille und palästinensischem Schal nähert sich ihm aggressiv. Dann ist ein Schlag ins Gesicht von Höntsch zu sehen, er stürzt zu Boden und wird kurz ohnmächtig. Michael Höntsch, 68 Quelle: über Michael Höntsch Der Vorfall ereignete sich am 23. April dieses Jahres in der Innenstadt von Hannover. Die Gruppe „Palestine Speaks“ hatte „Genossen, Brüder, Schwestern und Freiheitskämpfer“ zu einer Kundgebung in „Solidarität mit Palästina“ aufgerufen. Inzwischen ist klar: Der Angriff der pro-palästinensischen Demonstranten auf den Politiker, der sich selbst als Freund Israels bezeichnet, bleibt straffrei. Die Polizei hatte vor Ort die Personalien eines Palästinensers aufgenommen und Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung eingeleitet. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover sagte jedoch gegenüber WELT: „Das Verfahren gegen den staatenlosen 55-jährigen Mann wurde mangels ausreichenden Tatverdachts eingestellt, weil der Vorsatz zur Körperverletzung nicht nachgewiesen werden konnte.“ Bilder vom 23. April in Hannover: Ein pro-palästinensischer Demonstrant verbreitet eine Propagandalüge über Israel Sie: Rebecca Seidler Ein Kind verleugnet Israels Existenzrecht Sie: Rebecca Seidler Tatsächlich geht aus dem Video nicht hervor, welcher Person der Faustschlag gehört, der Höntsch ins Gesicht traf. Nach mehreren Zeitlupenansichten ist zu sehen, wie der ursprüngliche Tatverdächtige aggressiv auf den schwerbehinderten Politiker zugeht. Der Schlag kann auch einer anderen Person zugeschrieben werden. Diese Person wurde jedoch vor Ort nicht identifiziert. Die Polizei setzte nach dem Angriff Pfefferspray ein. Die pro-palästinensischen Demonstranten gingen dann und blieben ungestört.

Seine Braut wird eine Strafe zahlen

Höntschs Schwiegertochter Rebecca Seidler war bei dem Vorfall dabei und wurde Anfang September mit einer Geldstrafe von 128,50 Euro belegt. Ihm wird vorgeworfen, eine unbekannte Versammlung unter freiem Himmel abgehalten und damit eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben. Lesen Sie auch Seidler ist Geschäftsführer der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. Sie war nach eigenen Angaben mit Höntsch zu der Kundgebung gekommen, um mögliche antisemitische Vorfälle und Vertragsverletzungen beobachten und dokumentieren zu können. Höntsch trug die israelische Flagge nicht selbst, sondern hielt sie spontan in stillem Protest mit einer Frau, die sie bei sich trug. „Ich will die Herren, die mich angegriffen haben, nicht noch einmal alleine treffen“ Quelle: über Michael Höntsch “Es ist schwer zu verstehen, dass ein körperlicher Angriff auf mich keine Konsequenzen hat, während meine Schwiegertochter für die Teilnahme an einer Demonstration bestraft wird”, sagt Höntsch. Der ehemalige Innenpolitiker verzichtete damals darauf, selbst eine Anzeige zu schalten – aus Sorge, noch mehr in den Fokus derer zu geraten, die sich bei der Kundgebung so aggressiv verhalten hatten. „Aus Respekt vor meiner Familie hatte ich bewusst beschlossen, es nicht zu erwähnen. Ich war der Gewaltbereitschaft der Demonstranten direkt ausgesetzt und hatte Angst, dass sie mich wieder bedrohen würden“, sagte der 68-Jährige. Auch Datenschutzbedenken spielten eine Rolle. “Ich will den Herren, die mich angegriffen haben, nicht noch einmal alleine gegenübertreten.” Höntsch erfuhr von WELT, dass das Verfahren gegen den Verdächtigen der pro-palästinensischen Demonstration eingestellt worden sei. „Ich habe gekündigt und ich wünschte, der Angriff auf mich hätte zu einer Verurteilung wegen Körperverletzung geführt“, sagt er. „Antisemitismus von rechts ist anerkannt. Aber es gibt eine seltsame Zurückhaltung, wenn es von der arabischen oder türkischen Bevölkerung kommt.”

„Diese Studie zeigt ganz konkret, dass es unter Muslimen ein besonderes Problem gibt“

Fast jeder vierte Deutsche stimmt antisemitischen Äußerungen zu.  Das geht aus einer neuen Studie hervor.  Unter Muslimen ist die Zahl sogar noch höher.  Frederik Schindler von der WELT-Innenpolitik hat die Zahlen und die klaren Forderungen. 

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, es gebe keine „Geschädigtenentscheidung“, wenn davon ausgegangen werden könne, dass der Geschädigte kein Interesse am Ausgang des Verfahrens habe. Dieses Desinteresse kommt beispielsweise in Betracht, wenn der Geschädigte keine Strafanzeige erstattet. Höntsch sagt, er habe gute Gründe, keine Anzeige zu erstatten, und möchte natürlich den Ausgang des Verfahrens wissen.

Viele antisemitische Straftaten werden nicht gemeldet

Die Themen Anzeigebereitschaft und Ermittlungsstopp spielen bei antisemitischen Übergriffen immer wieder eine Rolle. Die Jahresberichte von Claudia Vanoni, der Beauftragten für Antisemitismus bei der Berliner Staatsanwaltschaft, zeigen, dass in den Jahren 2019 und 2020 nur 13 Prozent der hunderten Fälle mit antisemitischem Hintergrund in der Hauptstadt zu einer Anklage oder Strafverfügung geführt haben . Eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2018 unter jüdischen EU-Bürgern ergab, dass 79 Prozent der Befragten, die in den fünf Jahren vor der Umfrage antisemitische Belästigung erlebt hatten, dies nicht der Polizei meldeten. Auf die Frage nach dem Grund antworteten sie zum Beispiel, dass eine Anzeige nichts ändern würde oder dass eine Anzeige zu viele Unannehmlichkeiten verursacht hätte. Lesen Sie auch Die Soziologin Julia Bernstein sagte gegenüber WELT, dass einige Betroffene wegen schlechter Erfahrungen zögerten, Übergriffe und Beleidigungen anzuzeigen. „Beispielsweise bei Propagandadelikten ist die Strafverfolgungsquote aus Sicht der Opfer gering“, sagt der Professor für Zuwanderung, Diskriminierung und Integration an der Frankfurt University of Applied Sciences. “Juden werden teilweise von der Polizei nicht ernst genommen.” Viele Staatsanwaltschaften und Polizeikräfte haben in den letzten Jahren Antisemitismusbeauftragte bestellt, um Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich Antisemitismus durchzuführen und das Vertrauen in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung von Folgekriminalität zu stärken. Die Zunahme solcher Straftaten wird häufig auf eine erhöhte Anzeigebereitschaft und damit auf eine Abnahme der Dunkelziffer zurückgeführt. Lesen Sie auch religiöser Fundamentalismus
Ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums sagte, die Landesregierung bedauere, dass „ein ehemaliger Landtagsabgeordneter offenbar durch den Aufprall eines palästinensischen Aktivisten zu Boden gefallen ist“. In dem von WELT online gestellten Video seien “intensive verbale und in einem Fall auch körperliche Aggressionen seitens der pro-palästinensischen Versammlung” deutlich zu sehen. Die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen Rebecca Seidler könne “im Kontext der Gesamtheit der Ereignisse bedauerlich” sein, so die Sprecherin weiter. Das Landespolizeipräsidium prüft nun, ob ein Bußgeld aufgehoben werden kann.

Junge Journalisten machen alltäglichen Antisemitismus publik

Journalisten von FreeTech – Academy of Journalism and Technology – starten ein interaktives Videoprogramm zum Thema Judenhass in Deutschland.  „One in Four“ widersetzt sich dem Wegsehen. 
Quelle: WELT/jedervierte.com 
Hier können Sie sich unsere WELT-Podcasts anhören 

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