„In Bezug auf den Douglas Sirk Award haben wir uns entschieden, den Preis nicht zu verleihen“, heißt es in einer Erklärung des Festivals, „da die anhaltenden Vorwürfe gegen die Produktion eine Preisverleihung überschatten würden.“ Das betrifft den Film ausdrücklich nicht: “Es ist ein sehr sensibler Film über ein besonders schwieriges und tabuisiertes Thema.” „Sparta“ ist der zweite Teil eines ursprünglich als „Bosse Spiele“ angekündigten Stücks über die beiden Söhne eines alten Nazis, die beide das Land verlassen und unterschiedlich im Leben scheitern.
“Sie haben nie die Grenze überschritten”
Der erste Teil „Rimini“ über den unglücklichen Schlagersänger Richie Bravo feierte im Februar Premiere auf der Berlinale und wurde im April auf der Diagonale mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. „Sparta“ handelt nun von Richies Bruder Ewald (gespielt von Georg Friedrich), der seine Freundin verlässt und eine alte Schule in Rumänien in eine Jungenfestung verwandelt. Im Umgang mit den Kindern erkennt er seine lange unterdrückten pedantischen Neigungen. APA/Ingo Pertramer Ulrich Seidl (Mitte) am Set von „Bad Games“. Die Szene auf dem Friedhof wurde später in „Rimini“, dem ersten Teil des filmischen Diptychons, wiederverwendet. Nach Aussagen anonymer österreichischer, deutscher und rumänischer Teilnehmer kam es bei den Dreharbeiten in Rumänien im Sommer 2019 zu Unregelmäßigkeiten mit minderjährigen Schauspielern, wie das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Anfang September berichtete. Gesetzliche Auflagen wurden nicht erfüllt, psychologische und pädagogische Betreuung für Jungen zwischen neun und 16 Jahren war unzureichend, und Kinder wurden ohne angemessene Vorbereitung Alkoholismus, körperlichen Übergriffen und Nacktheit ausgesetzt. In seiner bisher einzigen Stellungnahme zu den Vorwürfen beklagte Seidl, dass das Rechercheteam des Spiegels nicht nachgefragt habe, den Film sehen zu dürfen, also nicht wissen könne, dass „kein Kind nackt oder in einer sexuellen Situation, Pose oder Kontext gefilmt wurde. “. zu sein. “Solche Szenen waren nie meine Absicht und wurden nie gefilmt. Wir haben während der Dreharbeiten nie die Grenzen dessen überschritten, was moralisch und ethisch erforderlich war.” Ingo Petramer/UlrichSeidlFilmproduktionsleitung Seidl: Der Film muss vor dem Gespräch gesehen werden
“Shitstorm entfesselt”
Als Regisseur greift Seidl unbequeme Themen auf, seine Filme sind kein Kino. Sein Erzählstil gilt als provokativ. Dies ist derzeit das Produktions-Backend. Ansprüche gelten nicht für Inhalte. Seidl selbst forderte eine Beurteilung des Films: „Ich hoffe, dass ‚Sparta‘ ab dem Moment, in dem der Film in die Kinos kommt, diese Vorbehalte zerstreuen kann, die von außen und erst während der Berichterstattung entstanden sind.“ Was in einem fertigen Film zu sehen ist, lässt jedoch nur bedingt Rückschlüsse auf die Bedingungen während der Dreharbeiten zu. Die Berichterstattung in den österreichischen Medien ist gemischt: Im Wochenmagazin „profil“ schrieb Art Director Stefan Grissemann, Autor des Buches „Sündenfall. Die „Grenzübergänge des Filmemachers Ulrich Seidl“, von einem „Sturm nach bewährtem Muster“, den der „Spiegel“ mit seiner Reportage entfesselt. Seidls langjährige Weggefährten und Mitarbeiter kamen im “Profil” des Direktors als Strafverteidiger zu Wort. In der Wochenzeitung „Der Falter“ hingegen gab es Zitate von anonymen Zeugen, die die Behauptungen im „Spiegel“ bestätigten und teilweise vertieften. Von einem riskanten Manöver in einem überladenen Auto ist die Rede und von einem kranken Kind, das trotz Fieber nicht sofort nach Hause geschickt wurde. Was tatsächlich passiert oder nicht passiert ist, wird zu diesem Zeitpunkt gesammelt.
“Keine Polizei”
Dem Österreichischen Filminstitut (ÖFI) liegen seit Anfang der Woche Unterlagen von UlrichSeidlFilm vor, darunter auch Arbeitsverträge, aus denen Rückschlüsse auf An- und Abwesenheit gezogen werden können. Zudem gebe es viele Menschen, die ihre Aussagen aufgezeichnet haben wollen, so Iris Zappe-Heller, stellvertretende Direktorin des ÖFI. Das ÖFI ist an der Einhaltung von Förderverträgen interessiert, die auch besagen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden müssen. „Aber wir sind keine Polizei, wir sind eine ressourcenverteilende Körperschaft.“ Die Situation ist immer heikel, wenn Minderjährige an Filmsets beschäftigt werden. Grundsätzlich ist Kinderarbeit verboten, dies gilt sowohl für Österreich als auch für Rumänien und muss ausdrücklich genehmigt werden. Bei „Sparta“ erschwerte das Ungleichgewicht der Wirtschaftskraft die Sache zusätzlich: Während der Mindestlohn in Rumänien bei rund 400 Euro liegt, erhielten die Kinder für ihre Arbeit am Set zwischen 50 und 60 Euro am Tag.
Der Fall Seidl in “Willkommen in Österreich”
Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Filmproduzent (“Amour Fou”) und Präsident des Film- und Musikvereins bei der Handelskammer, kennt solche Situationen aus eigener Erfahrung. Er produziert Margarethe von Trottas Bachmann und Frisch, bei dem kürzlich Kinder bei einem Dreh in Jordanien vor Ort waren.
Doppelt zart
„Gerade bei Dreharbeiten in einem anderen Land, Dreharbeiten mit Kindern, Dreharbeiten mit großem Vermögensgefälle müssen wir mit großer Sorgfalt vorgehen“, sagte Dumreicher-Ivanceanu gegenüber ORF.at, denn „wir Produzenten haben die Pflicht, dafür zu sorgen ein sicheres Set für alle: während der Dreharbeiten sowie während der Vor- und Nachbearbeitung.“ Bei „Sparta“ ist Seidl nicht nur Regisseur, sondern auch Produzent des Films. Auch wenn einer aus seinem Team sich nicht korrekt verhalten haben sollte, ist das seine Verantwortung.
“#Tun!”
Die Kontakt- und Beratungsstelle “#we_do!” Ins Leben gerufen vom Dachverband der Filmschaffenden gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Verstöße gegen das Arbeitsrecht, beraten branchenfremde Experten und Führungskräfte über vorbeugende Maßnahmen und Regeln. Die implizite Sorge mancher Kritiker, diese Aufmerksamkeit sei nicht mit einer künstlerischen Geste verbunden, die echte, auch unangenehme Emotionen vor die Kamera bringen will, nimmt Dumreicher-Ivanceanu nicht hin: „Diese Haltung suggeriert, künstlerische Freiheit könne Verhaltensweisen rechtfertigen, die es sind nicht wirklich gerechtfertigt. Der Glaube, dass nur die rücksichtsloseste Herangehensweise an das Genie die größte Kunst hervorbringen kann, ist im Theater und anderen Kunstformen längst überwunden.’ „Unabhängig davon, was am Set von Ulrich Seidl passiert oder nicht passiert ist, gehe ich davon aus, dass der öffentliche Diskurs weiter sensibilisieren wird und wir als Branche gemeinsam dafür sorgen werden, dass sich alle mit unseren Filmen wohl und sicher fühlen.“ Zappe-Heller folgt der gleichen Linie, “dass die Situation trotz aller Frustration Anlass für eine Katharsis ist, für eine Katharsis, die zu einem respektvollen Umgang miteinander führen kann.”
Geld als Hebel
Noch vor wenigen Monaten enthielten die Förderverträge des ÖFI einen „Code of Conduct“, einen „Code of Professional Conduct“, der nun bei jedem neuen Vertrag unterschrieben werden muss. “Natürlich sind wir etwas naiv davon ausgegangen, dass ein respektvoller, ethischer Umgang grundsätzlich gewahrt bleibt”, sagt Zappe-Heller, ohne sich dabei aber konkret auf die Dreharbeiten zu “Sparta” zu beziehen. “Es ist wirklich ziemlich seltsam, dass jemand sagen muss: ‘Schreien Sie sich am Arbeitsplatz nicht an.’ Unsere Aufgabe am Filminstitut ist es, Geld zu verteilen, bringt aber auch viel Verantwortung mit sich. Und wie am Beispiel der Gleichstellung der Geschlechter gezeigt wird: Geld ist ein Hebel, mit dem strukturelle Veränderungen herbeigeführt werden können.“ Im Extremfall könnten Fördermittel zurückgefordert werden.
Messen und zielen statt überreagieren
Meike Lauggas, Beraterin der Beratungsstelle „#we_do!“ gegen Diskriminierung, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Verstöße gegen das Arbeitsrecht, warnt vor sehr einschneidenden Konsequenzen. „Viele Überreaktionen zeigen, dass man alles im Einzelfall lösen will, aber die größeren strukturellen Zusammenhänge vernachlässigt.“ Das ist allerdings wenig zukunftsweisend, denn es gibt eine ganze Reihe von Handlungsoptionen. Johannes Zinner „Manche Überreaktionen zeigen, dass man alles im Einzelfall lösen will“, sagt Meike Lauggas von der Plattform „#we_do!“. Eine Möglichkeit besteht darin, schon beim ersten Vorgespräch, dem Warm-Up, auf präventive Maßnahmen aufmerksam zu machen – und das wird jetzt schon bei den ersten Filmproduktionen gemacht. „Wenn etwas passiert, muss man reagieren, aber das stoppt nicht automatisch das ganze Projekt. Das ist eine radikale Reaktion, die nicht unbedingt indiziert ist und die auch zu Lasten der Betroffenen geht, denn dann haben sie eine Last…