“Die Schweiz muss zum Rest der zivilisierten Welt aufschließen”, sagt Bill Browder. Der Ständerat tagt oft abseits der Weltöffentlichkeit. Kommende Woche wird es allerdings ein wenig anders sein: Wenn im kleinen Saal debattiert wird, ob die Bundesregierung eigenständig Sanktionen gegen Staaten oder Einzelpersonen verhängen kann, die Menschenrechte verletzen, hört Washington interessiert zu. Und auch Bill Browder (58), ein Londoner Unternehmer und Aktivist, freut sich auf Bern. Aktuell wird die Schweiz nur von der UNO oder der EU sanktioniert, entscheidet aber selbst über keine Massnahmen. Eine unerträgliche Situation, findet Browder: «Die Schweiz ist ein souveräner Staat, kein Ableger der EU oder der USA. Sie kann ihre eigenen Entscheidungen treffen.” Tut er das nicht, könnte es bald unangenehm werden, warnt er im Voraus. Nun, Browder ist kein reicher Brite mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch bei der Erwähnung der Schweiz im Allgemeinen und der Neutralität im Besonderen. Der gebürtige Amerikaner sieht sich als Speerspitze im internationalen Kampf für Menschenrechte und gegen Geldwäsche. Eine sehr persönliche Kampagne, die durch den russischen Angriff auf die Ukraine noch wichtiger wurde. Denn Browder hat die Grausamkeiten des Regimes selbst erlebt. Kurz nach dem Ende der Sowjetunion zog er nach Russland. Im wilden Osten der 1990er-Jahre boomte das Geschäft, doch als er anfing, Fälle von Korruption und Geldwäsche zu melden, wendete sich das Blatt. Unter Wladimir Putin verabschiedete sich das Land von der Autokratie, Browder wurde zur unerwünschten Person erklärt und durfte bald nicht mehr nach Russland einreisen. Sein Kollege Sergei Magnitsky hatte weniger Glück. Er starb im November 2009 nach monatelanger gewaltsamer Gefangenschaft in Moskau. Ermordet, stellt sich für Bill Browder heraus.
Ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz?
Damals wurde aus dem Geldgeber eine politische Lobby. Seine Bücher, in denen er sich nonchalant “Putins Staatsfeind Nr. 1” nennt, sind Bestseller. Und sein Wort hat in Washington Gewicht. Auf sein Drängen hin verabschiedete der US-Kongress 2012 das Magnitsky-Gesetz, das Sanktionen gegen mit dem Fall in Verbindung stehende Personen verhängte und Dutzende von Konten einfrierte. Die Europäische Union und andere Länder zogen nach. Heute dient das Magnitsky-Gesetz als Blaupause für die internationale Ahndung von Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen. Das Gesetz ebnete den Weg für US-Sanktionen gegen China, als Menschenrechtsverletzungen gegen die uigurische Minderheit öffentlich wurden. Das ist die Größenordnung, an die Browder denkt. Auf Feinheiten geht er nicht ein. “Die Schweiz wird sich in Sachen Geld von Diktatoren und Geldwäscherei dem Rest der zivilisierten Welt anpassen müssen”, sagte er dem Sonntags-Blick. „Kein Abgeordneter wird eine einzige Stimme verlieren, wenn er ein Gesetz unterstützt, das die Bestrafung von Kleptokraten und die Bestrafung von Menschenrechtsverletzern zulässt.“ Im Juni lief es noch gut für die Reformbefürworter. Der Nationalrat verankerte einen entsprechenden Passus im Embargogesetz. Der Ständerat wird voraussichtlich am morgigen Montag Einspruch erheben. Sowohl der Ausschuss für Außenpolitik (APK) als auch der Ausschuss für Sicherheitspolitik (SiK) waren dagegen. Eine eigenständige Sanktionspolitik “wäre im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Neutralität äusserst problematisch und würde ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz darstellen”, warnte die SiK in einem gemeinsamen Gutachten (SonntagsBlick berichtete). „Alles, was den wirtschaftlichen Interessen der Schweiz dient, fällt unter die Rubrik Neutralität. Das scheint keine ethische Entscheidung zu sein“, kritisiert Browder. Er akzeptiert nicht, dass die Schweiz seit langem Sanktionen gegen Moskau verhängt. Ein sehr kleiner Teil der russischen Guthaben bei Schweizer Banken ist gesperrt. Tatsächlich ist laut Zahlen des Bankenverbands derzeit nur ein Bruchteil der Konten im Wert von über 200 Milliarden Franken gesperrt.
„Auf dem Weg zu einem weiteren Nazi-Goldskandal“
Gezielte Sanktionen gegen diese Gelder und deren Besitzer sind für Browser Pflicht. Wenn das Parlament darauf verzichtet, “würde das den Russen signalisieren, dass die Schweiz nach wie vor ein sicherer Hafen für ihr schmutziges Geld ist.” Die Schweiz würde dann zum Problem für die westliche Welt und deren Versuche, Putin die finanziellen Mittel abzuschneiden. „Die Schweiz muss Stellung beziehen. Wenn sie sagt, sie sei neutral, ist sie auf Putins Seite.” Im Frühjahr schlug die sogenannte Helsinki-Kommission der US-Regierung bei der Bundesregierung zu. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Roger Wicker, Republikaner aus Mississippi und Mitglied des Komitees, will durchziehen. “Senator Wicker ist auf dem Kriegspfad”, sagt Browder. “Er plant, mehr zu tun, um die Schweiz und Russland für Geldwäscherei zur Rechenschaft zu ziehen.” Wicker hat ihm das kürzlich mitgeteilt. “Wenn sie diese Politik der ‘Neutralität’ fortsetzt, ist die Schweiz auf dem besten Weg zu einem weiteren Nazi-Goldskandal.” Ob der Streit um Sanktionen und Neutralität diese internationale Dimension erreichen wird, ist fraglich. Sicher ist, dass Browder und seine Mitstreiter nicht so schnell aufgeben werden. Oder wie Bill Browder seine Mission beschreibt: “Es gibt keinen Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich mit dem, was ich tue, fertig bin.” Sie werden bald wieder von ihm in Bern hören.