Kanzleramtschef, Fraktionsvorsitzender, Parteivorsitzender, Minister, Bundestagspräsident: Wolfgang Schäuble hat schon so viel hinter sich. Wahrscheinlich wäre er auch gerne Bundeskanzler oder Bundespräsident. Er ist jetzt 80. Von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

„Respice finem“: Bei allem, was man tut, an das Ende denken – das ist das Motto von Wolfgang Schäuble. Es war die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die es kürzlich spöttisch zitierte, als sie in der „Süddeutschen Zeitung“ nach dem inzwischen gewöhnlichen Abgeordneten Schäuble gefragt wurde. Dieser Wolfgang Schäuble, der im Alter von 79 Jahren glaubte, im September 2021 erneut für den Bundestag kandidieren zu müssen, und dann mit der Wahlniederlage seiner Union sein Amt als Bundestagspräsident verlor. Logo NDR Georg Schwarte ARD Hauptstadtstudio “Respice finem” heißt das. Das nahm Merkel nicht gut auf, die Schäuble immer respektierte, wenn sie zusammen waren, aber selten seine Nähe außerhalb von Arbeit und Politik suchte. Beide verwenden den offiziellen Namen – bis heute. Doch die Kanzlerin schätzte den Rat und die analytische Weitsicht des Finanzministers offenbar so sehr, dass sie Schäuble, als sie 2010 wochenlang krankheitsbedingt fehlte, zwei Rücktrittsangebote der gewissenhaften Badenerin ausschlug.

Bundestagsrekordhalter

Im Dezember sitzt Schäuble für 50 Jahre als Abgeordneter des Wahlkreises Offenburg im Parlament. Niemand hat es vor ihm getan, nicht einmal August Bebel. Schäuble spricht gerne von Pflichtbewusstsein. Von den Jungen, die den alten Mann um Rat und Wissen baten. Schäubles Frau Ingeborg hat nach 53 gemeinsamen Jahren längst Schluss gemacht. Ihr Mann interessiere sich mehr für Politik, sagte sie. Er sagt: “Ich brauche nichts mehr. Ich muss nichts mehr sein. Und ich will auch nichts mehr sein.” Schäuble war schon so lange: Minister seit 19 Jahren. Kanzleramtschef, Fraktionsvorsitzender, Parteivorsitzender, Minister des Innern und der Finanzen.

„Ich bin nicht pflegeleicht“

Doch die Brüche in seinem Leben erzählen auch, was er nicht geworden ist, obwohl er es wohl wollte: Bundeskanzler. Helmut Kohl, der hartnäckig im Amt blieb und seine Kandidatur erneuerte, verhinderte Schäuble. Als Johannes Rau als Bundespräsident ausschied, war es Bundeskanzlerin Merkel, die einen Bundespräsidenten Schäuble verhinderte, auch weil FDP und CSU ihn eigentlich nicht wollten. Die Wunden blieben, Schäuble aber auch. „Du kümmerst dich nicht leicht um mich. Es ist nicht einfach. Aber ich bin loyal“, sagte er einmal.

Das ist sicherlich in vollem Umfang richtig, aber im Kleingedruckten der Macht fanden sich Halbsätze des Mannes, der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Merkel auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsjahres 2015 sicherlich geschrammt hat. Als ein Schäuble vor einer CDU-Wahlkonferenz sagt, Merkel werde sehr wahrscheinlich wiedergewählt, horchte das damalige Lager der Merkel-Kritiker auf.

neugierig

Als Finanzminister war er jedoch der Erfinder der schwarzen Null. Ein weiteres Schäuble-Wort, das Kultstatus erreicht hat. “Nobelpreisträger glauben, ich habe nichts als eine Null im Kopf”, lästerte Schäuble einst, weil die Wissenschaft Schäubles berüchtigten Spardrang über den Haufen warf. Aber er, der gerne recht hat und es alle spüren lässt, hat Kurs gehalten. Er wurde zur Hassfigur eines Griechenlands, das in der Eurokrise am Rande des Staatsbankrotts stand. “Am 28. Februar 2015 ist Mitternacht vorbei”, hieß es einmal in einem Ultimatum. In Badens Englisch. Griechenland kapitulierte. Aber „Isch over“ ist bis heute ein Ausdruck der Anbetung geblieben.

Koffer mit 100.000 D-Mark

1972 – Willy Brandt war Bundeskanzler – kam der Mann, der Rechtsanwalt werden wollte, über die Junge Union ins Parlament. Schäuble machte Karriere und galt vielen in der CDU in den 1990er Jahren als nächster Star nach Kohl. Ein Politiker, der Überzeugungen und Misstrauen hatte. Die Annahme eines Koffers mit 100.000 D-Mark vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber als Partygeschenk im Jahr 1994 führte später zu einem weiteren Bruch im Leben des Mannes, der sich normalerweise für den Klügsten hielt. Merkel folgte Schäuble als Parteichefin nach, holte ihn aber 2005 als Innenminister und vier Jahre später als Finanzminister in ihr Kabinett.

Der Kanzler der DDR und der Mann, der nach eigenen Angaben als Kanzleramtschef auf die Idee des Mustervertrags kam. Seitdem gilt Schäuble auch als einer der Architekten deutscher Geschicke. „Das war der bewegendste Moment in meinem politischen Leben“, sagt Schäuble später im SWR-Interview. “Die Mauer geht hoch. Die Mauer geht hoch. Wenn wir noch einmal eine Reunion machen, machen wir es wieder so”, sagt Schäuble. “Aber nicht in einem Wahljahr.”

Wiedersehen und Mord

Neun Tage nach dem 3. Oktober 1990 wurde Schäuble bei einer Wahlkampfveranstaltung in seinem Wahlkreis Offenburg von einem geistesgestörten Attentäter schwer verletzt. Zwei Schüsse setzen Schäuble in einen Rollstuhl. Wiedervereinigung und Mord sind für Schäuble untrennbar miteinander verbunden. Übrigens warf Schäuble den Westdeutschen später oft vor, nie bereit zu sein, sich zu ändern. Und 32 Jahre nach der Wiedervereinigung fordert Schäuble mehr Respekt für die DDR.

Aber persönlich ist ihm das zeitweise nicht gelungen. Eine Pressekonferenz zum Steuerbescheid 2011 gab einen Einblick, wie gnadenlos dieser Schäuble nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu anderen sein kann. Mehrere demütigende Minuten lang wurde er mit seinem damaligen Pressesprecher auf offener Bühne vorgeführt. Nur weil der Mann vor dem Anpfiff keine Pressemitteilung bekommen hat. Die meisten Reporter im Raum lachten in diesem Moment. Einen Tag später schämten sich viele für sie und den Finanzminister, der sein Erscheinen danach bereut haben soll.

Schäuble für Laschet

Schäuble war dann im vergangenen Jahr Headliner einer Frühlingsnacht in Berlin. Um den Spitzenposten tobt der offene Kampf zwischen CSU-Chef Markus Söder und Armin Laschet, dem offiziellen Kanzlerkandidaten. Wer kann Kanzler werden? Die Union war tief gespalten. Soder stichelte, Lasset stolperte. Schäuble machte jedoch in einer nächtlichen Krisensitzung den Unterschied. Der Mann aus Baden wollte den Mann aus Nordrhein-Westfalen. Schäuble fand Laschet einnehmender und ansteckender. Söder gab nach. Schäuble setzte sich durch und mit Lasset verlor die Union die Wahlen. Einige aus der Partei klatschen später wütend über Hinterzimmerpolitik der alten Schule.

Wolfgang Schäuble,…