Aus Hildburg Bruns 

Sie packte ihren gusseisernen Topf ein, die Parmesanreibe, einen Haken für die beiden guten Messer. Klamotten und ihren ganzen Papierkram, wie sie sagt. Sängerin Ulla Meinecke (69, „Tänzerin“) hat ihre alte Wohnung in der Kreuzbergstraße verlassen. Draufgänger. Das Ministerium hatte ihr Haus für unbewohnbar erklärt. Nach den Regenfällen der vergangenen Tage mailte ihre Nachbarin Gudrun, 47, frische Fotos von Pfützen auf Planen, Schüsseln voller Wasser neben der Mineraliensammlung im weißen Schreibtisch, an dem Meinecke ihre Lieder und drei Bücher schrieb. „Ein weiteres Stück Decke ist in Ihre Küche gefallen, überall riecht es nach nassem Hund“, schreibt die Betroffene, die ebenfalls ihre Wohnung verlassen musste. Nach den jüngsten Regenfällen steht wieder Wasser in der Wohnung – die Mieter haben vorsorglich Alufolie ausgelegt Foto: privat Nachbarin Gudrun P. (47) ist ebenfalls von Wassereinbruch betroffen und hat gerade ihre Wohnung renoviert Foto: Ralf Günther
Der Strom ist ausgefallen. Meinecke musste seit November hin und wieder um Freunde betteln und hatte bereits fünf Übergangsquartiere hinter sich. „Es ist abenteuerlich, wenn man 28 ist, aber nicht lustig, wenn man Ende 60 ist.“ Seit 1982, also fast 40 Jahre, wohnt Meinecke im dritten Stock des noch kriegszerstörten Mehrfamilienhauses (Baujahr 1905) gegenüber einer Tankstelle. Weil das Dachgeschoss fehlt, gab es jahrzehntelang nur ein provisorisches Dach. Projektentwicklerin Bilal Akyol hat dieses Dachgeschoss direkt über ihrer Wohnung gekauft, will es aufstocken, stellt vorab eine Animation mit Penthouse-Wohnungen in Immobilienportale. Der Blick auf das grüne Kreuzberg ist überwältigend, der Anblick schockierend. Auf dem weißen Schreibtisch hat die Sängerin ihre Texte und drei Bücher geschrieben Foto: Ralf Günther
Doch die Arbeit auf der Baustelle muss ruhen. Der Bereich wurde aus Sicherheitsgründen gesperrt, da gefährlich mit den Stahlträgern hantiert wurde und Teile des Daches herabgestürzt waren. „Diese Beschwerden wären nie passiert, wenn die betroffenen Mieter das von der Hausverwaltung, dem Verkäufer und uns vorgeschlagene Verfahren befolgt hätten“, erklärte der Wohnungsinvestor Akyol gegenüber BZ. Bezahle die Ausgleichsmiete sowie die Rückgabe in die ursprüngliche Wohnung. Lebensgefahr im Schlafzimmer. Das Dach ist mit Metallklammern gesichert Foto: Ralf Günther
Meinecke und ihre Nachbarin sagen, Anwälte hätten seit mehr als einem Jahr mit ihnen verhandelt. Als der Vertrag unterschriftsreif war, hätte Akyol ihn nicht unterschrieben, sondern unangemeldet mit den Bauarbeiten begonnen. Seine Versicherung wolle den Schaden nicht bezahlen, sagte er den Mietern. Damit war die Sache offenbar für ihn erledigt. Und die Hausverwaltung reagierte nicht auf die Anfrage der BZ. Im Badezimmer hat der Sänger im Security-Foto von Ralf Günther Bilder und Fotos von Jim Rocket gemacht
Frauen leisten mehr als ein Jahr Widerstand. Sie riefen die Polizei (“nicht zuständig”), engagierten Anwälte, reichten Klage bei der Staatsanwaltschaft ein. Der bereits umstrittene Kreuzberger Stadtrat Florian Schmidt (47, Grüne) zeigte sich bei einem Gespräch desinteressiert und bot nach Angaben des Sängers – zu einem TV-Date – an, kam aber gerne mit. Das Landgericht Tempelhof-Kreuzberg ordnete an, dass die Verwaltung der Liegenschaft dafür Sorge zu tragen habe, „dass kein Wasser eindringen kann, insbesondere kein Regenwasser“. Der Gerichtsentscheid ist bereits vom Juli 2021. Es ist nichts passiert! Das Platin hängt immer noch an der Wand. Meinecke erhielt die Ehrung als Texter für die Sängerin Annett Louisan Foto: Ralf Günther
Meineckes Wohnung gehört einer jungen Israelin, die ihrer Nachbarin einer Chinesin. Die Vermieterin kümmert sich jedoch nicht um die Probleme und überlässt alles der Hausverwaltung. „Das Recht ist auf unserer Seite, aber es hilft uns nicht“, sagt Sängerin Meinecke. Sie ist überzeugt: „Gangstermethoden werden in Berlin angewandt, weil sie zu 95 Prozent funktionieren. Niemand ist verantwortlich oder die Verantwortlichen sind zahnlos.“ In Gesprächen sagen ihr die Leute oft: „Das kann sie nicht.“ Meinecke: „Das kann man auf niemanden übertragen.“ Beide Frauen zahlen seither ihre Miete nicht mehr. Meinecke will ihr Haus unbedingt zurück: “Wer seine Höhle nicht mehr verteidigt, verteidigt überhaupt nichts mehr.” Ihre gerahmte goldene Schallplatte und Platin für den Song „Wenn nicht für immer, dann wenigstens für immer“ hängen noch immer in der Kreuzberger Wohnung, Fotos von Jim Rocket hängen in Alufolie eingewickelt im Badezimmer. 2002: Sängerin Ulla Meinecke veröffentlichte in diesem Jahr ihr Studioalbum „Die Luft ist rein“. Große Erfolge feierte er zuvor mit „Dancer“ und „Wenn nicht für immer, dann wenigstens für immer“ Foto: picture alliance / United Archive Eine andere Unterkunft ist keine Alternative. „Suchen Sie sich eine Wohnung in Berlin, die Sie sich leisten können. Ich würde etwas kleineres nehmen. Aber wo ich hingeschaut habe, wollen die 1.800 Euro für 60 Quadratmeter. Sie müssen es sich erst verdienen. Ich muss von meinen Konzerten leben, Musiker bezahlen. Und wir haben immer noch Corona!“